Eine Klientin von mir war seit zwei Jahren erfolglos auf Jobsuche. Sie hatte zwei abgeschlossene Studien, und Träume von einem Leben in einem anderen Land, mit einem Leben, das sich sehr von dem unterschied, was sie im Moment lebte.
Eine Kommune wollte sie gründen, ein Unternehmen, und eine Familie. Die Idee reizte sie sehr, sie dachte jeden Tag daran, und traute sich aber nicht, das anzugehen, denn sie hatte solche Angst davor zu scheitern.
Was, wenn es nicht klappte? Was, wenn sie es ausprobierte, und dann pleite ging? Was, wenn sie sich vor anderen blamierte? Wenn sie in drei Jahren als gebrochene Hündin zurück nach Villingen-Schwenningen zu ihren Eltern ins Kellerzimmer ziehen musste?
Was, wenn…?
Was ist Scheitern eigentlich?
„Scheitern“ impliziert, dass es einen richtigen und einen falschen Weg gibt.
Und dass der, den du wählst, der falsche sein wird.
Außerdem impliziert „Scheitern“, dass dort, wo du mit deinem gescheiterten Plan ankommst, das Ende ist. Wenn du gescheitert bist, bist du gescheitert.
Und dass das Scheitern etwas schlechtes ist.
Wir sehen etwas, das nicht so kommt, wie wir es uns gewünscht haben, oder vorgestellt haben, als etwas problematisches.
Ich glaube, diese Sichtweise ist problematisch und zu einfach.
Wir denken uns, wir könnten die Zukunft verstehen.
Alle Kulturen und Zeitalter zeigen, dass das nicht so ist. Menschen haben sich schon immer über die Zukunft geirrt.
Ich irre mich täglich, wenn ich mir über die Zukunft Gedanken mache.
Wir nehmen als Material, um uns die Zukunft auszumalen, eh immer nur das, was wir schon wissen und kennen, und was wir bisher erfahren haben.
Alle negativen Erfahrungen projiziere ich in die Zukunft und denke dann, ich wüsste Bescheid.
Außerdem sind wir so als Menschen designed, dass wir uns nicht gerne unsicher fühlen.
Wir streben rund um die Uhr nach guten Gefühlen und Sicherheit.
Was wir schon kennen, lässt uns sicher fühlen.
Wenn wir uns die Zukunft, einen Plan, eine Beziehung, ein Hausbau, eine Businessgründung, mit dem Vergangenheitsmaterial ausmalen, was wir schon erlebt haben,
fühlen wir uns besser, wenn wir uns die beiden Möglichkeiten,
1.Es klappt
Oder
2. Es klappt nicht
Vorstellen.
Die 2. Variante ist die Schlimmere,
denn die fühlt sich gleich schlimm wie Tod an. Zumindest im Kopf.
Aber immer noch besser als sie als das anzusehen, was sie ist, nämlich ein Schritt auf dem langen Weg des Lebens, der tagtäglich gespickt mit Unsicherheiten ist.
Ich glaube, diese Unsicherheit auszuhalten,
dieses GEFÜHL des Unsicherheit auszuhalten, ist eine der Schwierigsten Dinge, die ein Mensch aushalten kann.
Wir kämpfen ununterbrochen dagegen an.
Zeit unseres Lebens verwenden wir viel Kraft darauf, uns ein Bild von uns selbst zu erschaffen.
Das fühlt sich auch gut, und sicher, an, wenn wir das irgendwann ganz klar haben.
So bin ich, das sind meine Freundinnen, Männer sind so, das System ist so, so ist es halt.
Wenn ich mir so ein Selbstbild erschaffe, dann macht alles, was aus diesem Rahmen fällt, Angst. Wenn ich zum Beispiel reizvoll finde, den Beruf zu wechseln, das Land zu verlassen, so ich kann, oder als Erwachsener Mensch nochmal zu studieren, aber fürchte, das ist zu groß für mich,
dann steckt dahinter auch die Angst vorm Scheitern.
Die Angst davor, dass es nicht klappt – und was dann?
Dann Leere.
Die Angst vor dem Nichts, ich kenne die, meine KlientInnen haben davon berichtet, ich habe viele freundschaftliche Gespräche darüber geführt – die Angst vorm Nichts ist gruslig.
Und was für eine Angst ist da noch, hinter der Angst vorm Scheitern – die ja eigentlich erstmal noch gar nichts Konkretes bedeutet?
Warum tut die so weh und hält uns von so vielen Dingen ab?
Ich denke, die Angst vorm Scheitern ist nicht wirklich die Angst davor, dass etwas nicht klappt.
Denn auf intellektueller Ebene schaffen wir es ja, uns zu sagen, dass wir keine Angst haben müssen
– so schlimm ist das nicht.
Wenn wir Angst vorm Scheitern haben, haben wir besonders große Angst davor, wie wir anschließend mit uns selbst umgehen werden.
DU BIST SO EIN FAIL.
WIE KONNTEST DU DAS NUR VERGEIGEN.
ALLES, WAS DU ANFÄSST, VERKACKST DU.
Tut weh, oder? Ja, tut es.
Das sind Sätze, die Viele, Viele von uns zu uns selbst sagen, wenn wir etwas nicht unseren Erwartungen entsprechend umgesetzt haben.
Wir haben Angst vor dieser Gemeinheit. Wie gemein wir zu uns selbst sprechen. Davor, wie schlimm uns das fühlen lässt.
Das ist nicht schön.
Und wir verstehen es nicht.
Meistens haben wir uns diese Sätze in jungen Jahren irgendwann gemerkt, von Eltern, MitschülerInnen, Tante, erstem Freund, als wir uns noch weniger gut abgrenzen konnten und meistens noch verschwenderischer mit unserer Liebe und Offenheit waren.
Wenn da so ein gemeiner Satz von irgendwo hereinknallt,
ist das ein Schock, denn er stimmt ja eigentlich nicht.
Aber weil er so gemein ist, und so weh tut, und weil wir in jüngeren Jahren noch weniger fest in uns selbst stehen, lassen wir uns verunsichern, und nehmen an,
er müsse stimmen.
Und weil er so weh tut, hinterfragen wir ihn ungern, sondern versuchen, diesem Satz, dieser neuen unbekannten Wahrheit, auszuweichen.
Wir lernen, Dinge richtig machen zu wollen, um diesen Schmerz nicht wieder fühlen zu müssen.
Wir lernen, nicht zu scheitern.
Denn das würde heißen, dass etwas ganz fundamental nicht in Ordnung mit uns ist.
Und wir immer noch nicht verstehen, was.
Wenn ich also als Erwachsener noch immer von der Angst vor dem Scheitern getrieben bin,
steckt dahinter die Angst, nicht in Ordnung zu sein.
Und die Angst ist auch so groß, weil wir gar keine Ahnung haben, was
„in Ordnung“ überhaupt sein soll.
Wo wir wieder bei der Unsicherheit sind. Angst vor Unsicherheit, Angst vor dem Nichts.
Wenn ich also scheitere, dann bedeutet das, dass ich „ein Fail“, oder „zu nichts zu gebrauchen“ bin, und das verstehe ich nicht, aber es tut schrecklich weh, also muss es wahr sein, und da ich das schon nicht verstehe, warten da vielleicht noch schlimmere Wahrheiten auf mich.
Also, das ist etwas, was im Schnelldurchlauf in solch einem Gehirn ablaufen könnte.
Wie komme ich aber mit dieser Angst vor dem Scheitern zurecht?
Nun, zuerst ist es wichtig, anzuerkennen, was da überhaupt passiert.
Dass es die Angst vor etwas Ungreifbarem ist, die uns so auf Trab hält. Vor einer schlimmen Wahrheit über uns selbst.
Dass wir uns die Zukunft nach einem Scheitern einfach nicht vorstellen können, was Angst macht.
Wobei nach jedem Misserfolg natürlich ein Erfolg kommt. Oder nach jedem zweiten.
Und die Angst, dass wir hinterher gemein zu uns selbst sein werden. Dass wir uns selbst verurteilen.
Unser Kopf macht daraus häufig etwas wie: „Die anderen werden schlecht über mich denken.“ – aber das ist natürlich auch nur ausgedacht, und im Grunde auch egal, sobald wir selbst nicht schlecht über uns denken.
Was ist das Geheimnis gegen die Angst vorm Scheitern?
Selbstliebe und Neugierde.
Wenn ich lieb zu mir selbst bin, und neugierig auf das Leben, sehe ich Scheitern nicht mehr als Scheitern.
Dann scheitere ich gar nicht mehr, weil mir klar ist, dass ich eh keine Ahnung von der Zukunft habe, und von dem, was mir alles noch passieren wird.
Jeder Schritt, den ich tue, dient einem Teil der Reise des Lebens, was nur vage vor mir liegt.
Wenn du siehst, wie vieles nicht in deiner Hand liegt –
dann kannst du dir sehr viel einfacher Ziele erfüllen.
Findest du, das klingt unlogisch? Überhaupt nicht, denn wenn du das Leben als ein riesiges Land voller verzweigter Straßen siehst, die du alle noch nicht kennst,
dann kannst du das mit dem Scheitern auch lassen.
Dann ist dieser Misserfolg, den du jetzt hattest, eben ein Misserfolg. Bestimmt auch einer von vielen. Und ganz sicher einer neben vielen Erfolgen.
Die merken wir uns bloß oft nicht so, weil sie sich nicht so schrecklich anfühlen.
Aber wenn du weißt, wo du hinwillst,
wenn du einen Traum oder eine Idee hast, dann ist Scheitern nicht nur Teil des Weges, sondern notwendig.
Und bedeutungslos. Solange du weiter machst.
Scheitern ist wie stolpern. Manchmal läufst du, manchmal rutschst du aus. Manchmal läufst du gegen eine Laterne. Manchmal bist du bestens vorbereitet und dann fährt dir jemand von hinten rein. Blöd. Und normal.
Über dich sagt das gar nichts aus.
Durch jedes Scheitern lernst du das Leben besser kennen, und dein Blick wird klarer.
Das ist also der schöne Part der Neugierde. Du hast keine Ahnung, was das Leben noch bringt. Ist das nicht aufregend?
Und der Part mit der Selbstliebe - wie lerne ich, netter zu mir zu sein?
Ebenfalls durch Bemerken, dass du in solchen Momenten nicht nett zu dir bist. Dass das nicht deine Schuld ist.
Sondern etwas, das dein Gehirn sich irgendwann entschieden hat, zu denken, weil es das einfachste war.
Und dass das überhaupt nichts über dich aussagt.
Denn wenn man es genau nimmt, sagt gar nichts irgendwas über dich aus.
Kein einziger Mensch ist ein „Reinfall“, ein „Fail“, „zu nichts zu gebrauchen“ oder sonst etwas in der Richtung.
Das sind alles Konstrukte, die wir uns über die Jahrtausende ausgedacht haben, um uns besser miteinander zu verständigen. Um andere Menschen besser einschätzen zu können. Um uns abgrenzen zu können.
Aber was soll das zur Hölle genau heißen?
Ja, da sind die meisten überfragt.
Und das kannst du auch jedes Mal machen, wenn du so einen ganz schlimmen Gedanken über dich selbst hast. Klar hinterfragen: Okay, aber was GENAU meine ich damit?
Das kann vielleicht erst einmal Angst machen („denn es könnte ja wahr sein!“ – ist es nicht!),
aber fühlt sich vorher viel schlimmer an, als sobald du der Sache auf den Grund spürst.
Und wenn du dann erkennst, dass du manchmal nicht nett zu dir bist, und auch, dass du dir das über lange Zeit angewöhnt hast,
kannst du üben, in solchen Momenten in den Dialog mit deinem Hirni zu gehen:
„Danke du Hirni, für deinen Input, aber du liegst wahrscheinlich falsch.“
Schärfe gleichzeitig die Aufmerksamkeit für Momente, wo du KEIN FAIL warst.
Wenn du zum Beispiel abends ins Bett gehst und denkst „Ich habe den ganzen Tag überhaupt nichts auf die Reihe gekriegt“ – finde Beweise, am besten schriftlich, dafür, was du auf die Reihe gekriegt hast.
Aufgestanden? Angezogen? Zähne geputzt? Etwas ungiftiges gegessen?
Alles Dinge, in denen du nicht versagt hast.
Also, du liebes Gehirnwesen.
Ich wünsche dir Freude beim Erkunden deines unlogischen Gehirns,
und Neugierde auf die Zukunft, von der du noch keine Ahnung hast.
Und zum Abschluss noch ein Zitat:
"Das haben wir noch nie probiert, also geht es sicher gut." - Pippi Langstrumpf