Tanz allein

Goodbye sagst du, meinst es aber noch nicht

Goodbye heißt für dich, du legst dein jetziges Leben auf Eis

Du hast dir als Kind gewünscht,

Eiskunstläuferin zu werden,

jeder kennt diese Videos, sie, in den Achtziger Jahren, guck mal, der Anzug,

guck mal, wie gelenkig.

Du würdest so gern aufbrechen in was Neues,

aber gelenkig bist du nicht mehr.

Eigentlich fühlst du dich noch gar nicht alt, nur dein Körper fühlt sich nicht mehr so.

Du hast vage Erinnerung an eine Zeit, in der du Treppen hochgerannt bist, immer zwei Stufen auf einmal.

dein Tanzpartner hat sich irgendwann das Genick gebrochen

als du zu sehr gerast bist

- gehört zum Leben, hast du dir damals gedacht.

Hat dir noch hinterher gerufen,

aber du fandest das irgendwie schwach.

Wenn du jetzt dran denkst, und daran, wie du damals darüber gedacht hast, kommt ein solcher Schmerz in dir auf, dass du bitter und plötzlich weinen musst,

vor Trauer über den Verlust,

--- und vor Erleichterung darüber, dass Fühlen mittlerweile so viel einfacher geht.

Und jetzt schaust du dich um, in der Langsamkeit.

Alte Leute sind friedlich oder verbittert, dachtest du früher immer. Du fühlst dich friedlich, und ein bisschen bitter.

Ich finde, Menschen ändern sich nicht groß.

Entweder sie gehen rückwärts, lernen sich selbst wirklich tief kennen, gehen rückwärts, rückwärts, suchen und lernen sich kennen, so, wie sie waren, bevor sie angefangen, irgendwie zu sein, und leben das dann

-oder sie lernen, das, was alle tun, lernen, groß zu sein, lernen, wie man sich professionell verstellt, bleiben verstellt, und leben das dann. Professionell verstellte traurige Kinderseelen.

Das ist dann die Essenz irgendwann, das macht friedlich oder bitter.

Du merkst, du bist auf jeden Fall keine von den Sonnenkindern, aber bestimmt gibt es die irgendwo.

Du bist gerast, hast du immer gesagt, weil du nicht so gut in time management bist.

Eine Krankheit unserer Zeit.

Bei sowas lächeln beide Gesprächspartner immer, weil beide wissen, was gemeint ist, und nehmen einen Schluck vom Glück.

Kurze Stille und du schaust dich suchend nach irgendetwas um,

und bist alt, und

- ja, wie tanzt du jetzt? So ohne Tanzpartner,

da sagte dir einmal jemand, dass das ja eh so ist, dass beide Tanzenden immer alleine tanzen

diesen Kommentar fandest du ein bisschen unfreundlich.

Aber er war auch nicht freundlich gemeint, sagt der Sprechende,

aber auch nicht unfreundlich

aber definitiv auch nicht freundlich.

Du wendest dich jahrelang ab.

Du wirst immer älter und hast irgendwann Schwierigkeiten,

dich im Spiegel zu erkennen,

hattest nur noch 5% Sicht und dann diese Op machen lassen,

eine künstliche Linse wurde in dein Auge implantiert

und seitdem kannst du wieder besser sehen,

aber die Augen sind bei Sonne jetzt viel empfindlicher, und bis zum Tod werden die auch wieder so schlecht, dass du irgendwann eine Brille mit großer Stärke tragen müssen wirst.

Deine Kinder leben auf anderen Kontinenten, dein erstes Kind, was du nicht bekommen hast, hätte dich vielleicht manchmal angerufen.

Du kochst nicht mehr so gerne, weil trotz des Alters merkwürdigerweise die Nase feiner geworden ist, und du den Geruch von Zwiebeln oder Bratfett beispielsweise nicht mehr aushalten kannst,

deswegen gibt es meistens Mischbrot oder Reisgerichte aus dem Kocher, das brennt nicht an.

(ach, da fällt mir ein)

Einmal hattest du einen Krümel unter der Zahnprothese, da hatte sich das Zahnfleisch so entzündet, dass es wochenlang schmerzte. Sobald du zuhause warst, nimmst du immer sofort die Prothese heraus und läufst zahnlos herum.

Da fällt dir ein, dass du als Kind in deinem Witzrepertoir eine Charaktertype hattest, die du ,,zahnlose Omi“ genannt hast.

Du hast dir immer vorgenommen, wenn du alt bist, auf dem Land zu leben und nicht mehr an der Hauptstraße. Hier an der Hauptstraße ist es laut.

Immerhin bist du noch keine von denen, die mit ihrem Kissen am Fenster den Jungen zusehen und rauchen., oder nicht mehr rauchen, weil der Arzt es verboten hat.

Du bist eh keine von den Alten, die nicht auf sich achten können und sich vom Arzt sagen lassen müssen, dass rauchen aber wirklich nicht gut ist, und dass ich Ihnen wirklich raten würde, jetzt mal damit aufzuhören. Der Raucherhusten all die Jahre davor hat nicht gereicht.

Du fragst dich, was du nochmal die Jahre zwischen 20-80 gemacht hast. Einzelne Erinnerungen ploppen auf, mit einem schnellen lauten Plopp. Damals warst du schnell und laut, schneller und lauter als jetzt.

Du überlegst, ob laut oder leise besser ist, kannst dich jedoch nicht entscheiden, denn du wohnst noch immer an der Hauptstraße, aber erlaubst dir mittlerweile, so leise zu sein, wie du magst.

Heute bist du einkaufen gegangen und hast deine Prothese zuhause gelassen.

Wirklich bequem ist sie schließlich nicht.

Ein kleines Mädchen dort erschrak sich vor dir, brach in Tränen aus und versteckte sich hinter ihrer Mutter.

Das fandest du ungerecht, denn du fühlst dich jetzt wie ein Monster.

Das nächste Mal, nimmst du dir vor, verschreckst du keine fremden Kinder,

doch da fällt dein Blick auf eine junge Frau, deren Tangastrippen aus der Hose herausragen und deren Gesicht bereits, du zählst, zwei, drei, Operationen, mindestens hinter sich hat, und du erschreckst dich auch, ist das hässlich- das war jetzt bitter von dir!

Du bist alleine auf dem Weg nach Hause. Es wäre schön, wenn da jetzt jemand Musik im Wohnzimmer auflegen würde, und ihr tanzen könntet, wie damals.

Es ist Abend, du stehst zuhause vor dem Spiegel, ohne Zähne, ohne Kleidung, lächelst dir zu, und denkst: Na. So ist das wohl irgendwann.

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Ich wünscht’, ich hätt’ ein Buch geschrieben