Oh, unbändige Sehnsucht nach Freiheit
oder: Ich will doch einfach nur frei sein!! - wirklich?
Freiheit.
Ich rate mal, dass Freiheit einer der Top 5 Werte ist, die Menschen in unseren Breitengraden so haben können.
Natürlich die innere Freiheit, denn abgesehen davon sind wir ja frei -
Frei zu tun und zu lassen, was wir wollen, solange wir die Konsequenzen dafür tragen.
Wenn dir dein Job nicht gefällt, kannst du theoretisch kündigen;
wenn du nicht in diesem Land leben willst, kannst du theoretisch einfach auswandern;
wenn du in einer Beziehung mit jemandem bist, und dir die nicht gefällt, kannst du theoretisch eben gehen.
Doch warum Freiheit?
Hier, bei uns?
Für mich hat Freiheit auch einen hohen Stellenwert.
Also, ich mag es nicht, wenn Leute mir sagen,
was ich zu tun habe, und ich tue ungern Dinge, die für mich keinen Sinn ergeben.
Ich bin mir nicht sicher, ob das dazu gehört.
-Aber für mich bedeutet Freiheit mittlerweile, auf Sehnsüchte, Verlangen, Empfindungen, nicht reagieren zu müssen, sondern entscheiden zu können, worauf ich reagieren möchte.
Fühlen zu können, und mich nicht damit identifizieren zu müssen.
Freiheit bedeutet für mich dadurch, klarer darüber nachdenken zu können, wie ich gerne leben möchte und was ich tun will.
Die heilige Freiheit
Tatsächlich möchte ich aber den Wert „Freiheit“, wie er heute oft benutzt wird, gar nicht mit so wahnsinnig positiver Bedeutung aufladen.
Hat er meiner Meinung nach nämlich nur zum Teil.
Freiheit ist nicht besser als der auf den ersten Blick gegensätzliche Wert Sicherheit.
Es ist nicht besser, in einem Van am Goa Beach zu leben, als im Eigenheim in Karlsruhe.
Es ist nicht besser, verheiratet zu sein, als ständig wechselnde PartnerInnen zu haben.
Es ist nicht besser, sich 30 Jahre abzurackern, um dann eine entspannte Rente zu genießen,
als durch die Welt zu reisen und im Alter von Sozialhilfe zu leben.
Kein Wert ist besser als der Andere.
Und keiner schlechter.
Die Frage ist, welcher Wert dich bestimmt, und warum du dich für welchen entscheidest.
Werte wie Freiheit, Sicherheit, Spaß, Erfolg, sind niemals angeboren,
sondern entwickeln sich mit den Erfahrungen, die wir machen. Alle Werte sind menschengemacht.
Deswegen lohnt es sich, da mal genauer reinzuzoomen.
Dazu eine Story von mir.
Wie eben geschrieben, ist Freiheit für mich auch ein wichtiger Wert.
Nicht der wichtigste, aber schon unter den Top 5.
In der Grundschule habe ich die erste Klasse übersprungen, und bin in die zweite Klasse gestuft worden, ein Jahr jünger als die anderen, weil ich schon lesen und schreiben konnte.
Ich war immer wieder Außenseiterin, war schüchtern, dünn, hatte eine Zahnspange, war jünger, und hatte durch die übersprungene Klasse das Gefühl, viel aufholen zu müssen in den Fächern, die ich ein Jahr lang ausgelassen hatte.
Die gesamte Schulzeit bedeutete für mich „eingesperrt sein“.
Ich hatte viele Ideen, las täglich Bücher, und war sehr kreativ.
Ich habe mehr als einmal drüber nachgedacht, die Schule abzubrechen, weil ich es so schrecklich fand, nach einem vorgegebenen Plan lernen zu müssen.
Mein Wohlbefinden verbesserte sich mit dem Älter werden deutlich, aber das Gefühl, nicht zu genügen, mich einschränken zu müssen, und weiter sein zu sollen, als ich bin, hat sich bis zum Abi und darüber hinaus durchgezogen.
Ich sehe unser Schulsystem nach wie vor kritisch, und sehe, dass vielen Kindern traurigerweise früh beigebracht wird, dass es nur eine Art gibt, erfolgreich zu sein,
und dass eine schlechte Note etwas über den Wert eines Menschen aussagt.
Ich habe eigentlicht nicht dran geglaubt, aber irgendwo schon.
In der Oberstufe habe ich mit einer Freundin regelmäßig freitags frei gemacht.
Irgendwo getroffen, in Hauseingängen gepicknickt; Wein getrunken, Zigaretten geraucht, und die Sonne genossen.
Während der ganzen Schulzeit und meinem immer stärker werdenden Freiheitsdrang wuchs bei mir auch die Angst, dass ich in diesem System eh nicht bestehen können werde.
Auch, dass ich, so wie ich bin, nicht klug, diszipliniert, fokussiert genug bin.
Dass meine unbändige Kreativität in Wahrheit Flausen im Kopf sind.
Ich hatte bloß das starke Gefühl, dass ich da ‘raus muss!
Ich wusste nicht, was das genau heißen sollte, aber ich fühlte mich die gesamte Schulzeit, und anschließend in jedem Job, in jeder Ausbildung, in jeder Beziehung früher oder später eingeengt.
Wie sich der Drang, auszureißen, umgewandelt hat
Ich hatte immer zwei Zukunfts-Freiheits-fantasien.
In der einen war ich ein Rock-, Film,- wasauchimmer-Star, und konnte dort machen, was ich wollte, und wurde gefeiert, egal, was ich tat, genau so wie ich war.
In der anderen sah ich mich ganzen Tag in einem schönen Haus in einem regnerischen Land sitzen, schreiben, und lesen.
Was für ‘ne schöne Vorstellung. Endlich frei sein!
Dafür musste ich entweder berühmt oder reich werden.
Aber wie soll ich das anstellen, wenn ich doch niemals irgendetwas zu Ende bringen will und mich in allen Systemen falsch fühle?
Ich könnte dir jetzt so eine von diesen Glitzer-Erfolgsgeschichte hier hintapezieren,
die man oft online liest… mach ich nicht.
So „von Mauerblümchen zur Selbstliebe-Göttin“ oder „von konstanter Existenzangst zur finanziellen Freiheit“. Oder „von Angst, nicht zu genügen, zum inneren Frieden“.
Das wäre nämlich gelogen.
Die lassen oft einen wichtigen Teil aus.
Ich kann nur von meiner Erfahrung sprechen, aber weiß, dass es vielen anderen Coaches auch so geht -
wenn man sich weiter entwickelt, hat man dabei weiterhin negative Gedanken.
Wenn ich mich mit mir selbst beschäftige, habe ich dabei weiterhin negative Gedanken.
Man kann sich Wünsche erfüllen, und hat dabei immer noch Angst.
Man probiert etwas neues aus, und schämt sich hinterher dafür.
Das ist nicht schlimmes und nichts Besonderes.
Leben ist immer „manchmal schön, manchmal schlimm“.
Dafür musst du dich nicht mal besonders anstrengen.
Das, woran wir arbeiten können, ist, in welcher Beziehung wir zu uns selbst stehen.
Wozu soll ich erzählen, wie krass ich mein Leben jetzt ‘im Griff’ habe,
und wie ich meine ‘Freiheit lebe’, und früher nicht, wenn es einfach nicht so stimmt?
Weil ich sowohl früher irgendwie mein Leben ‘im Griff’ hatte,
als ich dachte, ich hätte es nicht,
als auch ich jetzt manchmal ausflippe,
weil ich Leben, Beziehung und meinen Gehirninhalt auf einmal nicht mehr verstehe und
alles einfach komplett schrecklich finde. Und am nächsten Tag wieder nicht. What can I say.
Das, was sich verändert hat, ist, dass ich mich mit dem, was in meinem Kopf passiert,
nicht mehr so identifiziere. Dass ich mich nicht mehr so dafür verurteile, was ich denke und tue.
Und das hat einen riesen Unterschied gemacht, ja. Meinen Blick geklärt und mich mich selbst besser kennenlernen und klarer sehen lassen.
Das bedeutet Freiheit für mich heute.
Also: Was verbarg sich hinter der Fantasie von dem ganzen Tag Zeit und Ruhe?
Was sich bei mir damals dahinter verborgen hat:
Der Wunsch nach innerer Ruhe.
Der Wunsch, dieses vermaledeite Gefühl von Getriebenheit nicht mehr zu haben.
Der Wunsch, endlich alles in Ordnung zu finden.
Nur zu tun, was ich möchte. Und vor allem zufrieden dabei zu sein.
Und weißt du aber, was das lustige daran ist?
Wenn ich damals eine Million Euro geschenkt bekommen hätte plus Haus und regnerischer Landschaft,
ich hätte garantiert nicht den ganzen Tag gelesen und verträumt aus dem Fenster geguckt und geschrieben!
Ich hätte mich ziemlich wahrscheinlich auch dort eingeengt und getrieben gefühlt,
und den Stress gehabt, etwas Bedeutendes schaffen zu müssen.
Oder schuldig, dass ich das einfach so bekommen habe, und nicht mal etwas dafür getan.
Der negative Gedanke dahinter hätte sich einfach verlagert,
und ich hätte mich genauso gefühlt wie vorher.
Weil die äußeren Umstände nie bestimmen, wie wir uns fühlen.
Sondern unsere Gedanken über uns selbst. Und zwar zu 100 %.
Witzig, oder? Ich find’s witzig. Ich finde menschliches Verhalten, meines natürlich eingeschlossen, generell total witzig.
Und was ist das un-glitzerige an der Geschichte?
Der Gedanke
„Wenn ich erst berühmte Tänzerin bin, dann wird mein Leben grandios“
- Originalgedanke der kleinen Rivka für viele Jahre -
du merkst es vielleicht, beschreibt einen kaum zu verlassenen Kreis.
Während ich so damit beschäftigt war, mich in eine Zukunft zu träumen,
in der es mir besser gehen wird, und in der ich mich endlich frei fühlen werde,
habe ich in der Gegenwart nur wenig dafür getan, um an diesen Ort zu kommen,
den ich so mit heiliger Bedeutung aufgeladen hatte.
Verständlich!
Wenn ich als berühmte Tänzerin mich dann endlich befreit fühlen werde, warum sind dann die 6 Stunden täglichen Trainings so weit von diesem Gefühl entfernt?
Kann es sein, dass ich mich selbst bescheiße?
Dass ich am Ende gar nicht im Paradies ankommen werde?
Irgendwo wusste ich bestimmt unbewusst, dass die Freiheit vielleicht doch nicht dort liegen könnte, dass ich vielleicht irgendwann berühmte Tänzerin sein, aber mich immer noch nicht frei fühlen würde.
Was auch immer das heißen würde.
Also zog ich mich an den freisten Ort der Welt zurück. Meine Gedanken!
Wunderbar, dieser Ort.
Aber er ist eben auch sehr einsam, denn niemand anders ist dort mit mir. Und er ist eben nicht hier. Und macht einem das Leben in der Gegenwart manchmal schwer.
…
Kennst du das?
Wenn du dich auch gerne in deine Gedankenschlösser wegträumst, wo alles wunderschön ist… dann halt mal inne.
Wenn die Diskrepanz zwischen deinem Zukunfts - Traumort und deiner Realität JETZT zu groß ist,
und wenn der Zukunftstraumort mit viel Bedeutung aufgeladen ist, dann frag‘ dich mal.
Frag‘ dich, was für einen Ort du dir da eigentlich erträumst.
Was genau da anders sein wird.
Was besser sein soll. Warum du dort hin willst.
Wird es dir wirklich anders gehen, wenn du dort bist?
Ok, Spoiler: Nein.
Sobald du denkst, eine veränderte Lebenssituation würde dein Problem lösen,
kann ich dir gleich sagen: Wird es nicht.
Irgendwann wirst du von den gleichen Gedanken eingeholt werden, die du jetzt hast,
und dich in ähnlichen Situationen wiederfinden.
Aber Good News, falls dir das Angst macht:
Das ist nicht schlimm. Sondern normal.
Und richtig gut, wenn du es herausfindest!!
Was hilft, ist, dir selbst Fragen zu stellen.
Wonach habe ich eine Sehnsucht?
Warum?
Was fehlt mir?
In meiner Freiheits-story war das so:
Während mein Kopf davon okkupiert war, sich zu erträumen,
wie mein Leben so viel schöner aussehen würde,
hatte ich keine Kapazitäten, herauszufinden,
was ich WIRKLICH will.
Weil ich immer dachte, in einer bestimmten Handlung läge die Lösung.
Weil ich dachte, durch diese Handlung würde ich meinen Wert Freiheit leben können.
Währenddessen befand ich mich immer im Zustand des Mangels, der Eile,
des Ankommen-wollens.
Ich war zwar irgendwo, aber nur so halb, denn ich musste ja wohin.
Ich dachte, Freiheit war mein Hauptantrieb.
Aber, und jetzt kommt’s:
Was mich viel mehr angetrieben hat, und was sehr oft dahinter steckt, ist Angst.
Angst, nicht gut genug zu sein, Angst, nicht dazu zu passen,
Angst vor Ablehnung, vorm Scheitern, Angst vor Identitätsverlust,
vor Stillstand, vor Tod durch Langeweile.
Kennst du diesen Struggle?
Und diese Sehnsucht nach Freiheit..?
Dann lohnt es sich, genauer hinzuschauen:
Was bedeutet diese Freiheit für dich?
Was wünschst du dir und was erhoffst du dir dadurch?
Wohin träumst du dich?
Wie groß ist die Angst dahinter?
Wovor hast du Angst?
Dort ist es gut, zuerst anzusetzen. Nicht bei den Handlungen.
Du musst nicht auswandern, deinen Job verlassen, deine Beziehung beenden, wenn der Grund ist, dass du dir mehr Freiheit wünschst.
Der erste Schritt zu einem Gefühl von innerer Freiheit ist, dir deine Angst anzuschauen.
Denn wenn du aus einer Situation in deinem Alltag flüchtest, und das aus Angst tust,
ist die Angst dein Motor und wird einfach mitkommen.
Die Lösung ist nicht, die Situation zu verändern, sondern, dir deine Angst anzusehen.
WAS wünscht du dir?
Was GENAU?
WO willst du hin?
Und WARUM?
Steckt dahinter vielleicht eine Angst, die sich als Sehnsucht kleidet?
Wenn du dir diese Fragen stellst, kann dein Blick klarer werden.
Wenn du siehst, dass die Angst dein Motiv ist, lass‘ dich nicht von ihr leiten.
Das ist der erste Schritt. Hinterfrage deinen Motor. Was ist es, das dich zur Freiheit zieht?
Ist es Angst oder Freude?
Ich wünsche dir viel Freude beim Frei-denken.
Rivka