Vertrau’ nicht auf dein Gefühl!
Sei gegrüßt!
Nicht auf meine Gefühle hören? Was soll das?, fragst du dich vielleicht.
- wird uns doch heutzutage in jeder Yogastunde eingeflüstert,
aufs Bauchgefühl zu hören, der Intuition zu folgen, hinzuhören.
Lass’ uns erst einmal anschauen, wann es klug und wichtig ist, seinem Gefühl zu folgen.
Wenn du Hunger hast, fühlst du das auch. Dann tut dein Bauch weh, und wenn du zu wenig getrunken hast, schmerzt irgendwann dein Kopf. Signal: Hier fehlt etwas.
Wenn etwas dir gut schmeckt, erzeugt dein Gehirn positive Gefühle und du verstehst:
Das ist gut für mich.
Wenn du dich in einer Freund:innengruppe befindest und die anderen dich ausschließen, macht dich das traurig. Dein Grundbedürfnis nach Sicherheit und Zugehörigkeit wird nicht erfüllt, du reagierst mit einem Gefühl. Ursprünglich sind Gefühle also ein wichtiges Signal,
um zu zeigen, was gut für uns ist und was nicht
(Vor ca 100 000 Jahren konnte es den Tod bedeuten, wenn man aus der Gruppe ausgeschlossen wurde.).
Wie sieht das heute aus und warum ist es oft einfach nicht klug, nur seinem Gefühl zu folgen?
Gleich zu Anfang weise ich mal darauf hin, dass ich bei der Kinderriegel-Werbung,
wo Milchglas auf Reisen geht und Schokoriegel zuhause bleibt, und Milchglas dann irgendwann wiederkommt, und die beiden sich in die Arme fallen vor Freude, eigentlich immer in Tränen ausbreche vor Rührung.
Will damit sagen, der folgende Artikel dreht sich nicht darum, wie du lernst, deine „Zähne zusammenzubeißen“ oder deine Gefühle zu ignorieren.
Das ist ungefähr das Gegenteil von dem, wie ich lebe und wie ich arbeite.
Wir folgen am laufenden Band unserem Gefühl. Wir sind wahre Gefühlserzeugungsmaschinen.
Denn wir Menschlein sind eigentlich von morgens bis Abend mit nichts anderem beschäftigt,
angenehme Gefühle erzeugen zu wollen und unangenehmen auszuweichen.
Wenn du dich selbst einmal ein paar Stunden beobachtest, wird dir auffallen, dass du das genauso tust.
Und zwar andauernd.
Wenn dir etwas Unangenehmes widerfährt, wie dass jemand auf der Straße dich ohne Grund beleidigt
(in Berlin zumindest passiert ständig), oder du eine unangenehme E-Mail von einer Arbeitskollegin bekommst,
möchtest du dich sofort wieder gut fühlen, und regst dich vielleicht auf,
um dich dem nicht ausgeliefert zu FÜHLEN, oder zündest dir ’ne Zigarette an, oder schreibst einer Freundin,
und erzählst, was dir gerade bescheuertes passiert ist, oder öffnest Instagram.
Da folgst du total deinem Gefühl.-
Du tust etwas, um dich auf eine bestimmte Weise zu fühlen und um dich auf eine bestimmte Weise nicht mehr fühlen zu müssen.
Wenn du traurig bist, wirst du etwas unternehmen, um dich nicht mehr traurig zu fühlen,
und wenn du etwas schönes erlebst, willst du nicht, dass es vorbei geht.
Du trauerst glücklichen Zeiten hinterher oder geilst dich an der Vorstellung einer aufregenden Zukunft auf,
indem du sie dir ausführlich ausmalst und dir somit ein gutes Gefühl verschaffst.
Das machen wir die ganze Zeit. Ich auch.
So sind wir programmiert, und das macht unser Gehirn am liebsten – sich gut fühlen wollen! Klar.
Wie ist das aber mit langfristigeren Angelegenheiten?
Themen, die so richtig wichtig sind? Lebensentscheidungen, mit wem wir unsere Zeit verbringen, wie wir arbeiten wollen?
Schauen wir uns das mal anhand eines Beispiels an:
Ich habe diese Freundin, die ich sehr liebe, und die sehr mit ihren Gefühlen verbunden ist,
und auch davon überzeugt, dass uns unser Gefühl immer sagt, was richtig ist.
Sie war in einer Langzeitbeziehung mit jemandem, und die beiden hatten unterschiedliche Interessen. Sie ist Künstlerin, er eher so der rationale Typ.
Sie liebte es, sich stundenlang philosophische Gedanken zum Leben zu machen und Ausstellungen zu besuchen, er nicht. Er fand die Kunstwelt, in der sie sich befand, aufgesetzt und verurteilte sie manchmal dafür.
Die beiden waren mehrere Jahre zusammen und wollten eine gemeinsame Zukunft aufbauen mit Kindern und so.
Sie war immer wieder sehr unglücklich darüber, dass die beiden in vielen Punkten keine Schnittstellen fanden,
und sagte aber immer wieder:
Ich FÜHLE aber, dass er der Richtige für mich ist.
Wir haben etwas Gemeinsames, dass nur wir haben. Was sicher stimmte.
Und er sagte das Gleiche über sie.
Beide begonnen irgendwann, einander zu betrügen, sie mit Menschen, mit denen sie sich stundenlang übers Leben austauschen konnte.
Long story short, irgendwann brach es auseinander,
sie fühlte irgendwann, dass es nicht mehr ging, und sie ging.
Nun haben die beiden kaum noch Kontakt, sie ist in einer neuen Beziehung und kann nicht mehr ganz nachvollziehen, wie sie damals dachte, dieser Mensch wäre ihre große Liebe. Und dabei hatte es sich so intensiv angefühlt.
Da haben wir es nämlich schon. Einen Trick, den uns unser Gehirn spielt:
Wenn sich etwas intensiv anfühlt, denken wir, es müsste wichtig oder wahr sein.
Wir drehen ja auch komplett frei, wenn wir verliebt sind.
Ich erinnere mich an die Zeit, in der ich frisch mit meinem jetzigen Freund zusammen war,
und völlig plemplem im Kopf vor Verknalltheit. Damals dachte ich auch irgendwann:
”Boah, ich freue mich schon auf die Zeit, wenn sich das wieder beruhigt.”
Ich hatte halt an nichts mehr Interesse außer an ihm, und daran, Zeit mit ihm zu verbringen.
Genauso bei unangenehmen Gefühlen.
Wir sind in unserer heutigen Konsumgesellschaft extrem darauf getrimmt, uns jederzeit ein gutes Gefühl verschaffen zu können und zu sollen! Unser Belohnungssystem dauerhaft auf Trab zu halten
- durch Shoppen, Netflixbinging, Facebook-Like/Dopamin-Buttons, Alkohol als normalste Sache der Welt und weltweit jährlich steigendem Kokainkonsum.
Gleichzeitig steigt die Nachfrage nach Life Coaching, Quick-fix-pseudospirituellen Meditationstechniken und Selbsthilfeprogrammen.
Das beides hängt sehr eng miteinander zusammen, und bedingt einander.
Wir greifen täglich auf verschiedene Techniken zurück, um uns grundlos gut zu fühlen. Immer wieder.
Was wir dabei verlernen, ist - und jetzt pass auf: Uns nicht gut zu fühlen!
Oder einfach mal irrrgendwie, aber nicht toll oder besonders zu fühlen.
Und sehen dadurch ein unangenehmes Gefühl oder auch nur ein fehlendes gutes Gefühl als etwas Schlimmes oder als Warnsignal.
Was es nicht ist!
„Nein, es fühlt sich einfach nicht richtig an, diesen Job anzunehmen, ich weiß auch nicht.“
„Meine Intuition sagt mir, dass ich mich mit dieser Person nicht mehr treffen sollte. Es ist so ein Gefühl.“
Und viele Menschen sind so damit beschäftigt, ihrem Gefühl zu lauschen, dass sie nichts anderes mehr tun,
als das wahrzunehmen, zu pflegen und dann irgendwann in einer Krise landen, weil sie denken,
in ihrem Leben „nichts gebacken zu bekommen“, und gleichzeitig nicht zu verstehen, warum.
Weil das Sich-gut-fühlen, egal, wodurch, nicht von Dauer ist, und keinen tieferen Sinn oder tiefe Erfüllung bringt.
Und jetzt wird’s noch interessanter: Was wir dabei oft verwechseln, sind
Gefühle und Gedanken.
Der Satz : „Es fühlt sich einfach nicht richtig an, diesen Job anzunehmen“ beinhaltet wahrscheinlich: Ich will etwas anderes.
Vielleicht aber auch: Der Typ beim Vorstellungsgespräch war nicht freundlich. Hat sich nicht gut angefühlt.
„Meine Intuition sagt mir, dass ich mich mit dieser Person nicht mehr treffen sollte. Es ist so ein Gefühl.“
bedeutet eventuell: Ich mag nicht, wie diese Person ist. Ich entscheide mich, ihr nicht zu vertrauen.
Oder: Diese Person hat mir gesagt, sie schätzt meine Musik nicht, die ich mache. Ich will nicht mit Menschen abhängen, die nicht der gleichen Meinung sind wie ich.
Unsere Gefühle, und das sogenannte Bauchgefühl,
sind das Ergebnis mehrerer blitzschneller Gedankenprozesse,
die in uns vorgehen und die abwägen, ob wir etwas für gut befinden, oder nicht.
Wenn ich entscheiden muss, ob mir etwas gefällt oder nicht, ob ich in einer Beziehung bleibe oder nicht,
oder ob ich den Job kündigen möchte oder nicht,
dann wägt mein Gehirn völlig unbewusst und schnell immer wieder die pros und contras ab,
und je nachdem, welche Erfahrungen ich vorher gemacht habe, entscheide ich mich irgendwann für oder gegen eine Sache.
Das heißt aber auch, dass uns das ‘Bauchgefühl’ an der Nase herumführen kann!
Nochmal das Beziehungsbeispiel von oben:
Wenn ich mit einem Mann zusammen bin, der mich nicht wertschätzend und gut behandelt,
und mir das zwar nicht gefällt,
aber sich die Vorstellung, alleine zu sein, viel schlimmer anfühlt,
und der Gedanke, mit der Wahl dieses Mannes vielleicht einen Fehler gemacht zu haben, Scham in mir auslöst, werde ich, je nachdem, wie schlimm es sich anfühlt, wahrscheinlich mit diesem Mann zusammen bleiben.
Super.
Dann höre ich in dem Moment auf mein Gefühl und verbringe Zeit mit jemandem,
der mich gar nicht wirklich toll findet. Was für ’ne verdammte Zeitverschwendung!
Hände hoch! Ich hab das auch schon erlebt übrigens - Da hab ich auch immer gesagt:
„Nein, ich FÜHL einfach, dass es wichtig und richtig ist, zusammen zu bleiben, ich lerne so viel.“
Was irgendwo auch gestimmt hat. Also ich hab natürlich irgendetwas gelernt.
Aber rückblickend sehe ich heute, dass ich da meine Zeit mit jemandem geteilt habe, den ich idealisiert habe und eigentlich gar nicht so dolle fand
- und als Erklärung dafür die Herzverbindung und das „richtige“ Gefühl genommen habe.
Genauso wie bei meiner Freundin oben, und wie bei Millionen anderen Menschen.
Wenn wir unsere Gefühle als Führungskraft unseres Lebens bestimmen, geben wir dabei oft einen großen Teil unserer Selbstverantwortung ab.
Dann stellen wir uns nicht die Frage: Was will ICH eigentlich?
Sondern: Was fühlt sich richtig an? Was fühlt sich gut an?
Also ehrlich gesagt, ich könnte diese Frage nicht beantworten. Was sich richtig anfühlt. Woher soll ich denn wissen, was richtig ist? Was heißt das überhaupt?
Meiner Meinung nach gibt’s das nicht.
(Schreib mir aber sehr gern, wenn du eine andere Sichtweise darauf hast, und eine Definition vom „Richtigen“.)
Ich finde, das Einzige, was sinnvoll und hilfreich zu fragen wäre, ist:
Was will ich?
Mit dem Gedanken im Hintergrund:
Egal, welche Entscheidung ich treffe, EGAL, ich werde mich zeitweise IMMER mal schlecht und IMMER mal gut fühlen. In allen Varianten. Es gibt keinen Shortcut und keine Variante, die nur toll ist.
Willkommen im Leben!
Das erleichtert ziemlich, finde ich.
Denn so kannst du dir die Frage stellen
– In welcher Variante von Leben würde ich mich LIEBER gut UND schlecht fühlen?
Falls du dir jetzt weiter oben schon gedacht hast,
„Woher weiß ich denn, was ich will?“
Ich bin überzeugt, du weißt IMMER, was du willst. Zumindest zum Teil.
Du bist niemals komplett verwirrt.
Ist einfach so.
(falls du gerade innerlich protestierst, dann ist das genau jetzt ein Beweis dafür, dass du zumindest ansatzweise weißt, was du willst. Und zwar dadurch, dass du gerade weißt, was du nicht willst. Haha, ausgetrickst.)
Meistens ist es sogar ziemlich einfach und gar nicht so schillernd oder kompliziert, wie du denkst.
Und wenn es gerade noch nicht ganz klar ist,
dann wird es dir durch jede Entscheidung klarer - welche du zuerst triffst, ist also egal.
Das Gefühl hilft dir als erster Indikator, überhaupt eine Ahnung zu haben, ob etwas dir zusagt, oder nicht.
Wenn sich etwas komplett scheiße anfühlt, ist es wahrscheinlich besser, sich nicht dafür zu entscheiden.
Ich zum Beispiel finde die Vorstellung, in einer Schlachterei zu arbeiten, wirklich schrecklich.
Deswegen mache ich es nicht. Da ist es ganz klar.
Wenn du dich aber in einer Situation befindest, in der gemischte Gefühle dein Innenleben bestimmen, wie: „Eigentlich würde ich gerne etwas anderes machen, aber das, was ich jetzt mache, ist irgendwie auch okay. So richtig schlimm ist es nicht, und richtig super auch nicht„
Perfekt!e Situation, um hier direkt das Gut/Schlecht-Spiel zu spielen.
Also:
Wenn du in der Situation bleibst, in der du jetzt bist, wirst du dich
– Zufriedenheits-/Unzufriedenheitsgarantie! – manchmal gut, manchmal schlecht fühlen.
Und wenn du dich entscheidest, etwas zu verändern, wirst du dich auch!
– Zufriedenheits-/Unzufriedenheitsgarantie! – manchmal gut, manchmal schlecht fühlen.!
Irgendwie gut, oder?
Also - wie sähe dein Leben aus, wenn die Gefühle nicht ständig das Sagen haben?
Wovon träumst du?
Wie würdest du eigentlich gerne leben, lässt dir aber von ‘richtigen’ und ‘falschen’ Gefühlen einen Strich durch die Rechnung machen?
In welchem Leben würdest du dich lieber gut und schlecht fühlen?