Was passiert, wenn wir Worte verlieren
Ich drücke mich hier mit Worten aus. Ich bin froh, dass es sie gibt, die Worte.
Worte helfen manchmal, etwas auszudrücken, was irgendwo feststeckt, und manchmal ist es gut, etwas endlich auszusprechen, was eh die ganze Zeit in der Luft lag.
Dann haben Worte etwas Endgültiges. Worte sind also auch mächtig. Denn wenn manchmal etwas ausgesprochen ist, kann es nicht mehr zurückgenommen werden.
Worte haben eine Klarheit, die viele andere unser Verständigungswege nicht haben, deshalb sind sie so mächtig.
Worte können Sicherheit geben, denn wenn etwas schwarz auf weiß irgendwo steht, dann steht es da, unmissverständlich.
Seltsamerweise fühlen sich die meisten Menschen, die ich kenne, aber trotzdem missverstanden, trotz Worten.
Woran liegt das?
Ich habe vor kurzem ein Gefühl in mir entdeckt, was ich meistens eher aus dem Weg gehe, und was ich schon immer gut in Worte fassen konnte. Durch Worte habe ich immer wieder erklärt, woher genau dieses Gefühl in mir kommt, wie es mich von bestimmten Dingen abhält, oder ich mich selbst durch dieses Gefühl einschränke, all das konnte ich gut erklären, mit Worten. Und doch hat sich am Gefühl nichts verändert.
Denn Worte schaffen es nicht einfach so, ein Gefühl zu verändern.
Darum bringen übrigens auch positive Affirmationen nicht viel, wenn du sie nicht fühlst und glaubst.
Du kannst dir 100x am Tag auf Instagram durchlesen, „Du bist wertvoll“.
Wenn da in dir eine ungestillte Sehnsucht ist, nach Anerkennung durch die Menschen, die du liebst, dann bringt das nichts, sondern macht alles nur noch schlimmer.
Viele Menschen werden online mit positiven Botschaften verarscht, die sie versuchen, sich zu merken, um sich endlich besser zu fühlen. Sie bleiben in der zweidimensionalen Welt des Netz, vergleichen sich mit dem, was sie lesen und sehen, und nichts ändert sich.
Wenn du dieser Sehnsucht in dir nie zuhörst, und anerkennst, dass du dich nicht wertvoll, sondern sehnsüchtig fühlst, dann ist das so viel mehr wert, als dich zehnmal zu versuchen, auszutricksen.
Das, was meiner Erfahrung nach in einem stark emotionalen Zustand passiert, ist nichts, was in Worte gefasst werden kann. Egal, wie sehr du dich bemühst! Nichts, keine Formulierung ist genug.
(Vielleicht suchst du gerade nach einer, und da frage ich zurück- wozu?)
Die Herausforderung dabei, Dinge 'verstehen' zu wollen, liegt darin, dass wir das hauptsächlich mit dem Verstand tun.
Mit dem Verstand formen wir Worte, und erschaffen Sprache.
Mit der Sprache erschaffen wir Ideen wie 'Bedeutungen', 'Sinn' von Dingen oder 'Wert'.
Fühlst du diese Ideen und Worte? Oder denkst du sie?
Unsere Sprache ist zu schmal, auszudrücken, was wir imstande sind, zu erleben. Bestimmt weißt du das, und hast es auch schon erlebt.
Vielleicht bei einer Geburt, vielleicht in einem Moment tiefer Trauer, während einer Depression oder in einer Krise, oder in einer Erfahrung tiefer Liebe und Glückseligkeit, im Gefühl von Demut vor einem riesigen Berg.
All diese Worte sind Placeholder für etwas, was für jede von uns etwas anderes meint.
Im letzten Jahr fand ich mich in einer Krise. Ich wusste nicht, wodurch genau sie ausgelöst wurde, es kamen mehrere Dinge zusammen, und ich fühlte mich irgendwann nicht mehr wie ich, und nicht mehr lebendig. Ich wusste nichts mehr, außer, dass es nicht für immer so weitergehen kann. Ich glaubte an nichts mehr, außer daran.
Half es, mit Menschen darüber zu sprechen?
Ja. Auch wenn ich nie die richtigen Worte benutzte.
Es half, mich mit anderen auszutauschen, und zu merken, es gibt mehr Menschen, die Dinge erleben, die nicht immer zu beschreiben oder sortierbar sind.
Oder einfach, mich in meiner Traurigkeit zu zeigen, und nicht abgelehnt zu werden.
Es half, die Fassade nicht aufrecht zu halten.
Denn ich glaube, was viele von uns in Verzweiflung stürzt, ist, wenn wir auf eine Art leben, die uns eigentlich nicht entspricht oder gut tut, und wir uns dabei selbst belügen.
Bei mir war der Beginn der Krise die Lüge „Ich schaffe alles“.
Ich hatte mir angewöhnt, grundsätzlich mehr zu tun als meine Kräfte hergeben.
Ich hatte Angst davor, Durchschnitt zu sein.
Ich hatte so Angst davor, als durchschnittlich gesehen zu werden, dass ich mich komplett überforderte.
Neben meinem Studium machte ich noch eine weitere Ausbildung, begann, mit Jugendlichen zu arbeiten, und war freischaffend noch Künstlerin. Eine Beziehung und Umzug waren auch noch dabei. Alles extrem fordernde Tätigkeiten, die Herzblut und Einstehen für bestimmte Werte verlangen. Und für mich war das das Mindeste.
Weißt du, warum?
Die Angst, durchschnittlich zu sein ist gleichbedeutend mit der Angst, nicht genug zu sein. Ich hatte tierisch Angst davor, dass da NICHTS sein könnte, wenn ich nicht besonders bin, wenn ich nicht außergewöhnlich bin.
Meine Verstand wusste, dass da nicht NICHTS kommen würde, sondern dass auch wenn ich nichts machte, wäre es genug - aber Gefühle sind immer stärker als Gedanken, und überzeugen uns meistens.
Eine interessante Erfahrung in dieser Krise war, zu beobachten, wie Leute reagierten, je nachdem, welche Worte ich wählte.
Wenn ich jemandem sagte, ich hätte einen Nervenzusammenbruch gab es andere Reaktionen als wenn ich ein Burnout beschrieb, wenn ich erzählte, dass ich am durchdrehen war, anders als wenn ich sagte, ich war am Ende meiner Kräfte.
Keine Worte konnten die Komplexität dessen erfassen, was da abgegangen war.
Vor allem das Vertrauen oder Glauben, dass es irgendwann vorbei gehen würde, konnten sie nicht mit einschließen.
Sprechen und Worte helfen uns manchmal gegen die Einsamkeit.
Denn wenn wir nicht wenigstens versuchen, etwas zu teilen, auch wenn es umbeschreibbar ist, so bleiben wir in unserem eigenen Kopf gefangen, und das ist bekanntlich der gefährlichste Ort.
Diese Eingeschränktheit ist aber ein Dilemma!
Denn das bedeutet, dass ein ganz großer Teil unseres Lebens nicht in Worte gefasst werden kann,
während wir aber Worte benutzen, um uns die Welt begreifbar zu machen.
Mit einem klugen Menschen habe ich mich einmal über das Lebensgefühl in Trauerphasen unterhalten.
Er sagte:
Das Schlimme und lebendige ist, dass du wirklich nichts tun kannst, außer es zu erleben.
Das tut wahnsinnig weh, und wirklich nichts hilft, außer da selber durchzugehen.
Zeit.
Wenn Menschen versuchen, in Worten zu erklären, was unbeschreibbar ist, neigen manche dazu, zu romantisieren. Um Kontrolle wiederzuerlangen.
Sie münzen 'Bedeutungen', 'Sinn' und 'Wert' auf Erfahrungen, die das Leben ausmachen, aber vielleicht gar keinen Sinn ergeben, oder auch keine Bedeutung haben.
Wenn ein geliebter Mensch stirbt, oder wenn du enttäuscht wirst, wenn du dich von der Welt abkapselst, oder drogenabhängig wirst, gibt es dann einen tieferen Sinn dahinter?
Einige, die das gerade lesen, mögen sagen, „Ja“. Ich sehe das nicht so. Das ist zu einfach.
Allem einen verständlichen Sinn geben zu wollen, ist eine Möglichkeit, mit der tiefen Unsicherheit, die uns Menschen gänzlich ausmacht, klarzukommen.
Wir haben so viele Möglichkeiten und treffen die ganze Zeit unbewusst Mikroentscheidungen, die unsere Realität formen
(wie: Betrinke ich mich, oder gehe ich spazieren? Entschuldige ich mich bei der Person oder ziehe ich mich zurück? Sage ich meine Meinung, oder spreche ich schlecht hinterm Rücken?).
Wir wissen nicht viel, wir glauben ganz viel. Wir merken uns Dinge falsch, wir gucken uns Wahrheiten ab von Leuten, denen wir vertrauen, und bauen uns daraus dann eine Realität.
Vielleicht geht es gar nicht darum, die Frage nach dem Sinn des Lebens zu beantworten.
Vielleicht können wir das endlich mal sein lassen.
Denn wer sind wir nochmal, die diese Frage stellen? Genau, dieselben, die sich auf ein Verständnis von so etwas wie „Sinn“ geeinigt haben.
Aber warum sollte es so etwas überhaupt geben?
Nicht nur „Sinn -des Lebens-„
sondern SINN überhaupt?
Dass irgendetwas Sinn ergeben muss oder kann, haben schließlich auch Menschen irgendwann festgelegt.
Und zwar, glaube ich, nicht nach reiflicher Überlegung, sondern vielleicht aus dem Gefühl von Verlorenheit, Leere und Einsamkeit heraus.
Vielleicht aus der Angst vor dem Nichts.
Ich habe mir als Projekt für dieses Jahr vorgenommen, genau diesen Raum der Leere, der Einsamkeit, der Angst vor dem Nichts in mir mehr zu erforschen. Ich erhoffe mir davon mehr Freiheit.
Ich habe letztes Jahr damit begonnen, und kurz vorher lieber die Kurve woandershin genommen.
Aber was, wenn genau in dieser Angst eine Kraft liegt?
Was, wenn Freiheit in der Akzeptanz der Sinnlosigkeit (ohne Wertung) liegen kann?
Wenn du diesen Gedanken mal ausprobierst, kann das beruhigend sein.
Das ist keine Form von Nihilismus, sondern eher ein Versuch, in dieser schnellen, manchmal dramatischen Welt einen Schritt ‚raus zu machen, dorthin, wo weniger los ist.
Wenn ich erlebe, dass meine eigenen Überzeugungen, an die ich glaube, mir gleichzeitig egal sein können, dann fühlt sich das frei an.
Eine Sache sagen, und wissen, dass sie nicht stimmt, weil Worte nie genug sind, kann befreiend sein. Es trotzdem sagen, kann auch befreiend sein.
Dir selbst widersprechen und darin keinen Widerspruch zu sehen, kann sich befreiend anfühlen.
Wie mit Taucherbrille unter Wasser sein, und auf einmal Teil von etwas sein können, von dem man immer vergisst, dass es existiert.
Eine Welt, die genau neben unserer hauptsächlich wahrgenommenen existiert, und genauso wahr ist.
Und wenn du da unten bist, dann existiert die Welt da oben auf einmal nicht mehr.
Oder, beide existieren nebeneinander, miteinander, und sind einander oft irgendwie egal.
Klingt komisch, oder. Aber es geht.
Der Weg dahin könnte sein, sich öfter mal dem Gefühl auf dem Weg ins Nichts hinzugeben.
Dort, wo Worte versagen. Was passiert dort?